Die Anfänge des Orientalischen Tanzes in der Schweiz

Dieser Artikel erschien zuerst in der Bastet Fachzeitschrift, Juli 2003

Der Orientalische Tanz erfreut sich auch in der Schweiz immer grösserer Beliebtheit. Die meisten der neueren Tänzerinnen machen sich nicht viele Gedanken, wem sie es eigentlich zu verdanken haben, dass ihnen heute eine so breite Palette an Kursen, Shows und Workshops zur Verfügung steht. Und doch ist es erst gut 20 Jahre her, dass die ersten Pionierinnen mit viel Eigeninitiative, Forschergeist und Begeisterung für die "neue" Tanzform sich in der Schweiz etabliert haben. Ich möchte hier einige dieser Tänzerinnen und Lehrerinnen der ersten Stunde vorstellen und berichten, wie es sich anfangs der 1980er Jahre in der Schweiz als Orientalische Tänzerin lebte.

 

Allgemeines Umfeld

Die Orientalische Tanz wäre heute in der Schweiz sicher noch nicht so weit, wenn es nicht schon länger in Deutschland, Frankreich und den USA eine etablierte Tanzszene gegeben hätte. Wer sich in den frühen 80er Jahren intensiv mit dem orientalischen Tanz beschäftigen wollte, war viel unterwegs, vor allem in Frankfurt, Paris, Istanbul und Kairo, wo die ersten Tänzerinnen einerseits Unterricht fanden und andererseits Kostüme, Musik und Zubehör kauften. Als wichtige LehrerInnen in dieser Zeit werden von den meisten Leila Haddad, Nesrin Topkapi, Hassan Afifi und Dietlinde Karkuttli genannt.

Die ersten Orientalischen Tänzerinnen in der Schweiz waren eindeutig Exotinnen. Bei den von mir befragten Tänzerinnen schwankten die Reaktionen des Umfelds von neugierigem Interesse über freundliche Unterstützung bis zum Nasenrümpfen.
Wir kennen die heutigen Vorurteile gegenüber dieser Tanzform - damals waren sie natürlich noch viel stärker, da noch kaum jemand Orientalischen Tanz gesehen hatte und er noch mehr als heute in die Striptease-Ecke gestellt wurde.
So wundert es auch nicht, dass es ab und zu Schülerinnen gab, die ihr Hobby geheim hielten und selbst ihrem Mann nicht erzählten, was für einen Kurs sie da jede Woche besuchten...

Es war darum eigentlich allen Lehrerinnen und Tänzerinnen schon sehr früh ein Anliegen, den Orientalischen Tanz als Kunstform zu etablieren – deshalb distanzierten sich auch etliche von Auftritten in Restaurants. Zum Glück war es auch damals schon möglich, mit einer professionellen Präsentation die Klischees zu überwinden.

Die ersten Tanzkurse waren - je nach dem tänzerischen Hintergrund der Lehrerin - sehr verschieden. Während Tänzerinnen, die selber aus dem Mittleren Osten stammten, eher gemütliche Abende organisierten, an denen sie auch noch ein paar Bewegungen beibrachten, unterrichteten Schweizerinenn, die schon Unterricht in anderen Tanzformen hatten, eher schon "richtige" Kurse in Tanzstudios. So schwankten auch die Klassengrössen von 4 bis zu 15 Schülerinnen.
Viele der ersten Tänzerinnen organisierten auch Workshops mit ausländischen DozentInnen – oft vor allem aus eigenem Interesse, denn verdienen liess sich damit kaum etwas.

Bemerkenswert ist übrigens, dass bis auf wenige Ausnahmen alle Tänzerinnen der ersten Jahre auch heute noch aktiv sind, vor allem im Unterricht.

Ausserdem fällt auf, dass die meisten der allerersten Lehrerinnen schon sehr bald, nachdem sie den Orientalischen Tanz entdeckt hatten, zu unterrichten begannen. Heute würde man schimpfen über Tänzerinnen, die nach 1 oder 2 Jahren schon Kurse geben. Aber damals gab es halt nur das – oder gar nichts.

Hingegen gab es viel weniger den Drang der Schülerinnen, schon früh aufzutreten. Die Auftrittsmöglichkeiten waren natürlich auch rarer als heute, zum Teil gab es sie in den ersten türkischen und arabischen Restaurants, an Hochzeiten und Geburtstagen. Die Leute reagierten skeptisch, aber auch neugierig – manche wussten gar nicht so recht, was es gewesen war, das da getanzt wurde, aber es gefiel ihnen. Aber es wurden auch schon erste Bühnenshows produziert, die sehr gut ankamen. Zu gewissen Shows in Basel und Bern kamen bis zu 300 Zuschauer.

Die Aussagen zu Gagen sind unterschiedlich. Einige Tänzerinnen berichten, dass sie damals viel besser bezahlt wurden, andere bekamen weniger. Es war auf jeden Fall schon in den 80er Jahren möglich, 500 Franken für einen Auftritt an einem grossen Anlass zu bekommen.

Eigentlich schon von Anfang an interessierten sich die Medien immer wieder für den Orientalischen Tanz und brachten regelmässig – mal bessere, mal schlechtere – Berichte über Tänzerinnen, Auftritte und Tanzkurse.

Der Kontakt zwischen den einzelnen Tänzerinnen war verschieden gut. Die Orientalinnen hatten meist eine etwas andere Einstellung zu Tanz und Unterricht als die Schweizerinnen und machten darum eher ihr eigenes Ding. Der harte Kern der allerersten Schweizerischen Tänzerinnen hatte und hat immer noch ein gutes, herzliches Verhältnis. Man besuchte gemeinsam Workshops und übernachtete auch mal bei einer der Kolleginnen. Mit zunehmender Anzahl von Tänzerinnen gab es dann alle Schattierungen des Zusammenspiels vom Konkurrenzkampf bis zum Zusammenschluss in der "Interessegemeinschaft für Orientalischen Tanz" (heute "Orientalisches TanzForum"). Da viele Tänzerinnen ins Ausland reisten, um sich weiterzubilden, war der Kontakt mit anderen internationalen Tänzerinnen auch sehr rege. Dieser flachte dann mit steigendem lokalen Unterrichts-Angebot etwas ab und kam dafür mit der Etablierung des Internets wieder in Schwung.

Die Kostüme waren zu der Zeit meistens noch selbst genäht, was zum Teil auch eine Budget-Frage war. Es gab aber auch vereinzelte Tänzerinnen, die schon damals Profikostüme in Kairo bei Madame Abla oder in Istanbul bei Bella kauften oder gar ein Second-Hand Modell von Nesrin Topkapi ergatterten.

Für orientalische Musik gab es in den "normalen" Musikgeschäften nur eine sehr kleine Auswahl. Es war die Zeit, bevor die CD gross herauskam. Musik wurde also auf Kassetten (in teilweise übler Qualität) oder auf Schallplatten verkauft. Eine der beliebten Quellen dafür war Paris, wo es damals schon einen grossen Anteil an arabischer Bevölkerung gab. Aber auch in Ägypten oder Deutschland konnte man fündig werden.

Die meisten der früh aktiven Tänzerinnen erwähnen, dass damals die kulturelle Neugier und der Forscherdrang grösser waren. Wohl weil es damals noch allgemein mehr Engagement brauchte, um sich im Orientalischen Tanz auszubilden. So waren auch die Schülerinnen oft schon recht bewandert in den orientalischen Kulturen, wenn sie sich zum Tanzkurs entschlossen. Im Gegensatz dazu seien die Tanzkurse heute eher ein Konsumgut, oft seine die Schülerinnen kaum mehr am kulturellen Hintergrund interessiert, der sportliche Aspekt oder Modeströmungen (siehe Shakira) stünden im Vordergrund.

 

Die Pionierinnen

Damals wie heute sind die Wege, wie man zum Orientalischen Tanz kommt, so vielfältig wie die TänzerInnen. Hier einige Beispiele ohne absoluten Anspruch auf Vollständigkeit.

Julie Gürtler

julie guertler...reiste 1981 aus Interesse für den Derwish-Tanz nach Istanbul, wo an einem Abend eine Zigeuner-Band aufspielte. Julie war irritiert, dass sie trotz langjähriger Tanzausbildung in Jazz, Flamenco und Ballett nicht richtig mittanzen konnte. So fand bei ihrem nächsten Istanbul-Besuch das Studio Ates, wo sie täglich Unterricht nahm und sogar ein Diplom erhielt. Zurück daheim wurde sie bereits das erste Mal gebeten, das Erlernte weiterzugeben.

Sie stiess auf Marrackhia aus Zürich, und die beiden gingen zusammen nach Istanbul, wo sie zuerst bei der Amerikanerin Nancy Unterricht nahmen. Nachdem sie aber einen sehr beeindruckenden Auftritt von Nesrin Topkapi gesehen hatten, baten sie darum bei ihr lernen zu dürfen.

So wurden sie Nesrins erste Schülerinnen und reisten darauf hin 2 Jahre lang im Frühling und Herbst nach Istanbul, wo sie in einfachen Hotels wohnten, denn Fliegen war damals viel teurer. Julie ging später auch nach Deutschland und Frankreich, um den ägyptischen Stil zu lernen, gute Erinnerung hat sie an an Bert Baladine.

Julie unterrichtete Orientalischen Tanz an ihrer bereits etablierten Tanzschule in Basel, wo sie vor allem junge Schülerinnen hatte,die schnell lernten. Mit ihnen stellte sie auch Bühnenshows zusammen und vermittelte Auftritte.

1986 bis 1992 lebte Julie in Istanbul, wo sie Tanz unterrichtete, nach ihrer Rückkehr in die Schweiz hatte sich die Tanzszene aber so verändert, dass sie keine Lust mehr hatte, nochmals etwas aufzuziehen.

 

 

Beatrice Holm

...war nach einer Ägyptenreise entschlossen, Orientalischen Tanz zu lernen. Ca. 1982 bot sich die Gelegenheit, als Nahema für eine Show und Workshops nach Basel kam. Vom Ehrgeiz gepackt, reiste ihr Beatrice an jeden möglichen Workshop nach und nahm auch bei anderen in Deutschland Unterricht. 1984 eröffnete sie die Tanzschule Semiramis in Basel, die dieses Jahr ihr 20jähriges Jubiläum feiert. Seither lebt sie vom Tanzen. Früher hatte sie viele Auftritte zu allen möglichen Anlässen, oft auch mit Live-Musik.

Beatrice tanzte zu allen möglichen Anlässen, viel mit Live-Musik. Sie schätzt auch den Kontakt mit anderen Tanzstilen (Modern, Contemporary usw).

 

Marrakchia (Silvia Hunziker)

marrakchia

...machte 1981 in Kalifornien bei Bert Balladine und Jamila Salimpour, darauffolgend in Deutschland u. a. bei Dietlinde Bedauia Karkutli, ihre ersten Unterrichtserfahrungen mit dem Orientalischen Tanz. In Istanbul begegnete sie Nesrin Topkapi, die zu einer ihrer wichtigsten Lehrmeisterinnen wurde. Weitere Reisen führten sie nach Marokko und Ägypten, und sie nahm auch Unterricht bei einigen bekannten ägyptischen TanzlehrerInnen.Seit 1983 leitet sie Kurse in Zürich, die schon damals guten Zulauf fanden. Etliche ihrer Kursteilnehmerinnen sind Tänzerinnen geworden und leiten selber Schulen für Orientalischen Tanz.

Marrakchia ist Mitbegründerin des Orientalischen TanzForums, eines Zusammenschlusses von Lehrerinnen in und um Zürich. Sie ist auch heute noch im Unterricht aktiv und gestaltet ihre eigenen Bühnenshows.
Marrakchias Website

Badiaa Lemniai

...ist Marokkanerin und lebte anfangs der 80er in St-Louis nahe der Schweizer Grenze, wo sie 1982 begann, an der Volkshochschule zu unterrichten. Nachdem sie 1984 Julie Gürtler für ein paar Monate vertreten hatte, zog sie auch Kurse in Basel auf. Sie war und ist sehr aktiv auf der Bühne und im Unterricht und hat seit 2002 ihr eigenes Studio in Muttenz.
Badiaas Website

 

Meyadeh Jamal-Aldin

meyadeh

...wurde in Bagdad als Schweiz-Irakerin geboren und kam mit 4 Jahren in die Schweiz. Tänzerin wollte sie schon werden, seit sie 14 war; während einem 3monatigen Irak-Aufenthalt mit 20 lernte sie dann in der Familie tanzen. Danach bildete sie sich autodidaktisch mit Videos vom ägyptischen aus einem ägyptischen Laden. Ersten Unterricht gab sie 1982/83 in einem besetzten Haus. Nach orientalischer Manier wurde dabei nicht nur getanzt, sondern auch gegessen. Darauf folgten Kurse in einem "alternativen" Kulturzentrum, wo sich die hartgesottenen Feministinnen eher darüber lustig machten.

Durch ihren Bruder, den Filmemacher Samir, war Meyadeh schon bald mit dem Orientalischen Tanz in den Medien vertreten. Sie tanzt aber zur Freude und wollte nie Vollprofi (mit allen Konsequenzen) werden. Meyadeh unterrichtet auch heute noch in Zürich.

Maha Weber

...aus dem Libanon begann 1982 zu unterrichten. Sie war damals Studentin in Bern und wurde immer wieder gebeten, ihre Tanzbewegungen zu erklären. Auch in ihren ersten Kursen gab es jeweils noch zu essen und eine Schülerin berichtet, dass sie selbst hochschwanger noch unterrichtete. Zur Weiterbildung nahm Maha Unterricht in Ägypten und im Libanon. Sie legt in ihren Kursen vor allem Wert auf das kulturelle Verständnis und darauf, Spass beim Tanzen zu haben. Ausserdem ist sie sehr stolz darauf, dass viele ihrer ehemaligen Schülerinnen jetzt selber unterrichten. Sie selbst gibt noch immer Kurse in Bern.

 

Cyndy Essahbi-Peak

cyndy

...wuchs in Süd-Kalifornien auf, wo sie schon mit 10 Jahren in einem benachbarten griechischen Restaurant zum ersten Mal "Bellydance" sah und seit dem den Wunsch hatte, das selber zu lernne. Ihren ersten Kurs hatte sie dann schliesslich an der Universität in Santa Barbara genommen. Im Jahr 1977 kam Cyndy in die Schweiz; hier begann sie 1984 in einem Tanzstudio zu unterrichten.

Zur Weiterbildung ging sie nach Istanbul zu Nesrin Topkapi, Kairo zu Hassan Afifi und zu Leila Haddad nach Marrakesch, wo sie auch ihren Mann kennenlernte. Cyndy gibt weiterhin im Raum Zürich Unterricht.

Cyndys Website

 

 

 

 

Die zweite Generation

Es ist unmöglich, alle Schülerinnen der frühen 80er Jahre aufzuzählen, die heute selber unterrichten und auftreten. Darum möchte ich einfach ein paar Beispiele herauspicken.

Kristina (Christine Grünenfelder)
Begann 1983 bei Marrakchia orientalisch zu tanzen. Sie reiste viel in den Orient und lernte anfänglich vor allem in Istanbul und Kairo tanzen. Ab 1987 begann sie zu unterrichten. Kristina hat viele Shows organisiert und auch Khaled Seif nach Zürich gebracht.

Layali (Viola Römer)
sah den Orientalischen Tanz zum ersten Mal 1979 auf einer ihrer Reisen in den Nahen Osten, ab 1982 nahm sie in Zürich Unterricht, zur Weiterbildung besuchte sie alle Workshops, die sie finden konnte, im In- und vor allem Ausland (Türkei, Training mit der Reda-Truppe). Sie unterrichtet seit 1986 und betreibt seit vielen Jahren das Centrum Sultan.
Layalis Website

Aischa (Barbara Lüscher)
aus Basel ist vielen ein Begriff durch die "Stars of Egypt" Videos, die sie zusammen mit Hossam Ramzy veröffentlicht hat und ihre neuste Publikation über den Tanz in Ägypten. Sie war eine Schülerin von Julie Gürtler und spezialisierte sich u.a. bei Hassan Khalil auf den ägyptischen Tanzstil.
Aischas Website

Ayshe Barmettler
stammt aus Istanbul und kam als Kind in die Schweiz. Sie begann 1984 bei Cyndy mit dem Orientalischen Tanzunterricht und reiste ein Jahr später mit Julie Gürtler das erste mal zu Nesrin Topkapi. Weitere Studien führten sie nach Kairo. Ayshe unterrichtet seit 1985 selbst.
Ayshes Website

Irene von Salis
kam über den türkischen und griechischen Volkstanz 1983 zum Orientalischen Tanz. Sie gehörte zu den ersten Schülerinnen von Marrakchia, bei der sie vier Jahre lang regelmässig Unterricht nahm. 1987 begann sie dann, selbst zu unterrichten.
Irenes Website

Marlies Kataya
kommt aus einem Artisten-Umfeld und bekam 1983 ihren ersten Orientalische Tanzunterrich bei Meyadeh und später bei Marrakchia. Für sie war der Tanz anfangs vor allem etwas Spirituelles, das sie für sich selbst machte. Sie reiste aber auch viel herum, um sich weiterzubilden und begann 1986 im privaten Kreis mit Unterricht.
Marlies' Website