Dieser Artikel ist zuerst erschienen in Bastet Nr.
4 / 2005
Der Begriff "Bollywood" geistert in letzter Zeit immer öfters
durch Zeitschriften, Fernsehsendungen und auch die orientalische
Tanzszene. Einige von Euch sind mittlerweile sicher auch neugierig
geworden und möchten selber einen indischen Film sehen, haben
aber keine Ahnung, welchen sie kaufen sollen. Lasst mich Euch helfen!
Erst mal ein paar generelle Informationen zu indischen Filmen. Es gibt "Kunstfilme", die bei uns in reguläre Kinos kommen und auch an europäischen und amerikanischen Festivals Preise bekommen. Diese sind aber meist in Indien selber nicht besonders erfolgreich und fallen manchmal sogar der Zensur zum Opfer, da sie explizite sexuelle Darstellungen enthalten. Und damit sind schon Küsse gemeint! Ausserdem wird darin das "echte" Leben dargestellt - und davon haben die meisten Inder schon genug, im Kino wollen sie was Schönes sehen, in eine Traumwelt flüchten.
Eine richtige Bollywood-Schwarte ist familientauglich. Das heisst auch, dass es für alle was dabei hat: Romanze, Komödie, Keilerei, Drama und natürlich die "Songs". Darum werden die Filme auch als "Masala Entertainment" bezeichnet - "Gewürzmischungs-Unterhaltung". Kein Wunder, dass diese Filme dann meist gegen 3 Stunden lang sind! Nicht jeder Film aus Indien ist übrigens "Bollywood", sondern eigentlich nur die aus Mumbai/Bombay, die in Hindi gedreht werden (Bombay + Hollywood = Bollywood). Es gibt aber im grossen Indien auch weitere Filmzentren, wo Filme in Tamil, Malayalam und anderen Sprachen gedreht werden. Da gibt es also auch Tollywood, Kollywood und sogar Lollywood (Lahore in Pakistan).
Die Handlung ist meist recht stereotyp. Ein Klassiker ist die Dreiecks-Liebesgeschichte. A und B lieben sich. C liebt B auch und könnte B sogar heiraten, verzichtet aber grossmütig zu Gunsten der anderen zwei (oder stirbt). Wichtig ist ausserdem das Hochhalten von Familienwerten und indischen Traditionen. Ausserdem gibt es auch Modeströmungen. Während in den 1970/80er Jahren recht viel Gewalt gezeigt wurde, kamen in den 1990ern die Familienfilme in Mode. Momentan gibt es gerade einen Trend zu Polizei- oder Militärfilmen und Thrillern. Gerne wird die Handlung oder ein Teil davon ins Ausland verlegt, um den Zuschauern etwas besonderes bieten zu können, z.B. nach Sydney, New York, London oder in die Schweiz.
Vieles in den indischen Filmen ist uns Europäern fremd, aber spätestens nach dem dritten Film gewöhnt man sich daran. Z.B. dass man aus Respekt einer älteren Person die Füsse berührt. Auch die immer wieder gerne gezeigten Hochzeitsrituale unterscheiden sich von den europäischen. Meist ist die Braut nämlich in Rot gekleidet, extrem mit Goldschmuck behangen und natürlich mit Henna verschönert. Überhaupt, die Kleider! Sicher für uns eine der Hauptattraktionen – obwohl in den moderneren Filmen immer mehr westliche Kleidung getragen wird. Dass Inderinnen nicht nur Saris tragen, wird man bald merken. Es gibt, je nach Region / Gesellschaftschicht die verschiedensten Varianten wie Lehenga Choli (Rock und Kurzbluse), Salwar Kameez (lange Bluse mit Hosen), die beide mit einer Dupatta (langer Schal) getragen werden.
Unterschiede in Verhalten und Kleidung hängen zum Teil auch mit der Religionszugehörigkeit zusammen. So ist das Bindi (Stirnpunkt) eigentlich vor allem bei Hindu-Frauen zu sehen. Die Männer der Sikhs tragen traditionsgemäss Turban und Bart. Und Musliminnen ziehen eher einen Salwar Kameez an als einen Sari. Meist gehören mehrere Figuren in einem Film zu verschiedenen Religionsgemeinschaften, um möglichst das ganze Publikum zu bedienen.
Ein gerne gebrauchtes Motiv ist die junge, freche Frau im Minirock, die sich auf die indischen Werte zurückbesinnt, sich brav im Sari kleidet – und damit endlich das Herz des Helden gewinnt...
Glücklicherweise sind die meisten Filme mit Untertiteln
(wenn auch meist Englisch) erhältlich. Aber seltsamerweise
werden die Lieder oft nicht übersetzt. Aber so schwierig ist
es nicht, denn wie überall handeln die Lieder meist von der
Liebe (pyaar, ishq, mohabbat), die man im Herzen (dil) spürt
und einem den Geist (mann) verwirrt, so dass man ganz verrückt
(diwana, pagal) wird. Wenn dann der Junge (larka) dem Mädchen
(larki) tief in die Augen (ankhen) schaut, ist sein Leben (zindagi)
glücklich (khushi) und alles wird gut (achcha), denn das Warten
(intezaar) hat ein Ende, wenn die Hochzeit (shaadi) gefeiert wird!
Und je nachdem preist er dann Bhagwan (Hindu), Allah (Moslem) oder
Rabba (Sikh).
Die Liedtexte sind übrigens meistens in Urdu, der „Sprache
der Poesie“ verfasst. Urdu ist die Schwestersprache
von Hindi, die in Pakistan gesprochen wird.
Die Filmstars in Indien werden wie kleine Götter verehrt.
Es gibt ganze Zeitschriften wie Cineblitz, Filmfare etc., in denen
es eigentlich um nichts anderes geht als um Interviews und Klatschgeschichten
über die Stars. Es ist unmöglich, hier eine vollständige
Liste abzudrucken, darum folgt hier nur eine Übersicht über
die wichtigsten DarstellerInnen der letzten Jahre.
Erst mal ist Bollywood eine grosse Familie. Wer sich die Liste
der Mitwirkenden (Schauspieler, Regisseure, Produzenten) eines
Filmes ansieht, bemerkt ziemlich schnell eine hohe Konzentration
der Namen Khan und Kapoor/Kapur und Kumar. Das macht es nicht grad
einfacher, die Schauspieler auseinanderzuhalten. Redet man nun
von Salman Khan, Aamir Khan, Shah Rukh Khan oder Saif Ali Khan?
Andererseits laufen manche der Schauspielerinnen nur unter ihrem
Vornamen wie Sridevi, Tabu, Kajol und Rekha. Dann gibt es Familien,
wo Vater, Mutter und Sohn schauspielern, z.B. die Bachchans.
Ein anderer Weg zum Filmruhm als familiäre Vorbelastung
ist zum Beispiel - vor allem für Frauen - der Gewinn eines
Schönheitswettbewerbs. In der indischen Filmindustrie wimmelt
es nur so von Miss India, Miss World oder gar Miss Universe. Etwas
vom ersten, was Europäern an indischen Filmen auffällt
sind dann auch die wunderschönen Frauen, die darin mitspielen...
Aber auch die ästhetischen Anforderungen an Männer sind
in den letzten Jahren gestiegen. Da wird gerne auch mal einem Schauspieler
das Hemd ausgezogen, um seine beeindruckenden Muskeln zu zeigen.
Und letzthin haben auch einige männliche Models vom Laufsteg
vor die Kamera gewechselt.
Zu den Leuten, die in den letzten Jahren in vielen Filmen zu sehen waren gehören:
Madhuri Dixit - eine persönliche Favoritin von mir, tolle
Tänzerin
Aishwarya Rai - Miss World 1994 mit Hollywood-Erfahrung
Preity Zinta - neuere Schauspielerin, berühmt für ihre
Wangen-Grübchen
Kajol - lange Zeit beliebte Filmpartnerin von Shah Rukh Khan
Karisma + Kareena Kapoor - zwei Schwestern aus einer Film-Dynastie
Rani Mukherji – momentan DIE Top-Schauspielerin, um die sich
alle reissen
Shah Rukh Khan - einer der ganz grossen, vielbeschäftigten
Stars
Amitabh Bachchan - Film-Ikone, so eine Art indischer Jean Connery
Hrithik Roshan - Muskelmann und guter Tänzer
Aamir Khan - bei uns bekannt aus Lagaan
Salman Khan - immer für einen Skandal gut
Akshay Kumar - ex-Model und Kampfkünstler
Abhishek Bachhan – Sohn von Amithabh, der jetzt selber Karriere
macht
Wie gesagt, die Liste ist weit entfernt davon, vollständig
zu sein!
Eine genauso unvollständige Liste folgt nun für Filme,
die ich empfehle. Einerseits ist es unmöglich, alle zu sehen
(ich tanze ja ab und zu noch...), andererseits sind auch die Geschmäcker
verschieden. Mit diesen Filmen könnt Ihr Euch aber schon einmal
einen Überblick der letzten Jahre verschaffen.
Wenn Ihr Euch nur für das Getanze interessiert, gibt es auch
DVDs, auf denen nur Tanzszenen aus verschiedenen Filmen gesammelt
sind. Diese sind meist nach einem Thema oder einem bestimmten Star
zusammengestellt.
Kal Ho Naa Ho
Aktueller Film, der in New York spielt, gelungene Mischung aus
Komödie und Drama. Aman, ein mysteriöser neuer Nachbar
tritt in das Leben einer Familie, in der es seit dem Selbstmord
des Vaters mehr Leid als Freud gibt. Er mischt alle gründlich
auf und bringt neuen Schwung in ihr Leben. Sogar Naina, die ernste
Tochter des Hauses verliebt sich gegen ihren Willen in ihn. Aber
da ist noch ihr bester Freund Rohit, der sich ebenfalls um sie
bemüht....
Kuch Kuch Hota Hai
So sieht "Grease" in Indien aus - nur dass es nach dem
College noch weitergeht. Eine junge Mutter schreibt vor ihrem Tod
Briefe an ihre kleine Tochter. Darin beschreibt sie, wie sie Rahul,
ihren Mann kennengelernt und mehr oder weniger seiner guten Freunin
Anjali ausgespannt hatte. Ihr Wunsch ist es, dass ihre Tochter
Rahul und Anjali wieder zusammenbringt. Doch die Zeit drängt,
denn Anjali hat ihre heimliche Liebe zu Rahul verdrängt und
ist daran, einen anderen zu heiraten...
Devdas
Oft verfilmtes Drama, in der neusten Ausführung mit opulentem
Dekor und atemberaubenden Tanznummern. Der tragische Held des Films,
Devdas, kehrt in sein Elternhaus zurück. Er will die Nachbarstochter
Paro heiraten, seine Kindheitsliebe. Doch seine Mutter ist dagegen,
denn Paros Mutter war früher Tänzerin und damit keine
ehrbare Frau. Diese Beleidigung lässt Paros Mutter nicht auf
sich sitzen und findet bald einen reichen Ehemann für ihre
Tochter. Der verzweifelte Devdas betäubt seinen Kummer mit
Alkohol in einem Bordell, wo sich die Kurtisane Chandramukhi in
ihn verliebt, aber sein Herz nicht gewinnen kann...
Hum Aapke Hain Koun...!
Der Familienfilm schlechthin, einer der ganz grossen Erfolge der
letzten Jahre. Eigentlich dreht sich alles um Rituale (Verlobung,
Hochzeit, Geburt, Beerdigung) und um Ideale wie Familiensinn,
Pflichterfüllung usw. Das Ganze angereichert mit einem Dutzend
Sing- und Tanznummern. Pooja und Rajesh heiraten und bekommen
eine kleine Tochter. Doch da stirbt Pooja – und die
Familie beschliesst, dass Rajesh ihre Schwester Nisha heiraten
soll, damit das Kind wieder eine Mutter hat. Dummerweise sind
Nisha und Rajesh’s Bruder Prem ineinander verliebt...
Dil Chahta Hai
Moderne Geschichte um drei Freunde mit verschiedenen Ansichten
zur Liebe:
Sameer, der Romantiker, dessen Herz schnell Feuer fängt – Akash,
der nicht an Liebe glaubt und von einer Kurzbeziehung zur nächsten
wechselt
– Sid, der Träumer, der sich in eine ältere Frau
verliebt. Die drei verlieren sich nach einem Streit aus den Augen,
Akash zieht gar nach Sydney. Dort trifft er Shalini und verliebt
sich das erste Mal im Leben tatsächlich...
Mujhse Shaadi Karogi
Knallige Komödie mit Ferienstimmung. Sameer hat ein Problem:
seinen Jähzorn. Er beschliesst, in Goa ein neues, friedlicheres
Leben als Leiter eines Strandclubs zu beginnen. Er verliebt sich
in Rani, die Tochter eines alten Armee-Offiziers, bei dem er leider
aus Versehen einen überaus schlechten Eindruck macht. Kommt
erschwerend dazu, dass Sunny auftaucht, der nicht nur sein Zimmernachbar
wird, sondern sich bei Ranis Familie beliebt macht und Sameers
gute Absichten ein um’s andere Mal in eine Katastrophe verwandelt...
Es gibt grundsätzlich zwei Kanäle, um an indische Filme
zu kommen: Einerseits in indischen/pakistanischen Geschäfte
(auch Lebensmittelläden haben oft eine Video-Ecke). Allerdings
werden hier oft Raubkopien unterschiedlicher Qualität verkauft.
Eine andere gute Quelle ist natürlich das Internet. Bei www.amazon.de
gibt es eine Auswahl, ein paar der Filme haben sogar ausser den
englischen auch deutsche Untertitel. Wobei das Deutsch nicht immer
gleich gut übersetzt ist... Zu empfehlen für günstige
Originale mit englischen Untertiteln: www.nehaflix.com
In immer mehr deutschsprachigen Städten kommen Bollywood-Filme
auch für kurze Zeit in kleine Kinos oder werden von unabhängigen
Organisatoren z.B. in Hörsälen von Universitäten
vorgeführt. Ausserdem gibt es ab und zu indische Filmfestivals,
an denen diverse Bollywood-Filme vorgeführt werden.
Die meisten dieser Filme haben englische Untertitel, letzthin war
aber auch Kal Ho Naa Ho mit deutschen Untertiteln zu sehen.
In der Schweiz ist es die Organisation Cinedrome, die sich sehr
für die Vorführung von Bollywood-Filmen in verschiedenen
Städten einsetzt (www.cinedrome.ch).
In Deutschland und Österreich lohnt es sich, mal in einem
indischen Geschäft nachzufragen, oft werden die Vorführungen
nämlich nur innerhalb der indischen Szene publik gemacht.
Ausserdem bringen Sender wie RTL 2, Arte, SF1 usw. auch ab und
zu Bollywood-Filme, sogar mit deutscher Synchronisation (leider
zum Teil aber gekürzt). Ein Blick ins Programmheft lohnt sich.
Über Bollywood ist schon viel geschrieben worden. Hier eine Auswahl an Büchern:
Bollywood - Das indische Kino und die Schweiz
Herausgegeben vom Museum für Gestaltung Zürich anlässlich
der gleichnamigen Ausstellung 2002
Traumfabrik Bollywood
Myriam Alexowitz
Indischer Film
Matthias Uhl, Keval J. Kumar
Indian Popula Cinema - A narrative of cultural change
K. Moti Gokulsing + Wimal Dissanayake