Choreografieren im Orientalischen Tanz

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in TanzOriental Nr. 2 / 2004

Von seiner Tradition her ist der Orientalische Tanz eigentlich ein Improvisations-Tanz. Ob bezahlte Tänzerin oder Gäste an einem Fest – alle reagieren spontan auf die Musik und drücken sie ihrer momentanen Stimmung entsprechend mit den ihnen bekannten Bewegungen aus.
Erst als begonnen wurde, den Tanz auf Bühnen und in Nachtklubs zu präsentieren, wurden die Tanzshows raffinierter, mit neuen Elementen angereichert und in eine „Ordnung“ gebracht.

Die meisten Tänzerinnen in den Nachtclubs im Mittleren Osten tanzen heute ihre Shows choreografiert. Auch bei Tänzerinnen im Westen ist es meist so, dass sie an kleineren Anlässen improvisiert tanzen, für grössere Shows jedoch choreografieren.

Wann ist eine Choreografie sinnvoll?

Eine Choreografie kommt zum Beispiel dann zum Zug, wenn man eine Musik ganz speziell ausdrücken will oder wenn man raffinierte Bewegungen einbauen möchte, die einem beim Improvisieren vielleicht spontan nicht einfallen würden. Sie dient dazu, die Tänzerin und ihr Können im bestmöglichen Licht zu präsentieren. Bei Gruppentänzen ist die Choreografie sowieso ein Muss (ausser man tanzt Tribal Style).
Voraussetzung ist natürlich, dass man weiss, wie der Ort aussieht, wo man die Choreografie tanzen wird: Wie gross ist die Bühne, wo sitzen die Zuschauer (nur vorne oder auch zur Seite) usw.

Aus diesem Grund sind Choreografien für Restaurant-Auftritte oder bei Privatfeiern nur bedingt machbar, rsp. können als Hilfe zur Improvisation dienen. Denn man weiss nie im voraus, wo die Gäste sitzen werden, wann einem ein Kellner über den Weg läuft, in welcher Ecke ein Glas zu Boden fällt und man den Scherben ausweichen muss... Wer sich in so einer Umgebung stur an eine Choreografie halten wollte, hätte ziemliche Probleme.
Auf Bühnen hingegen sind Choreografien sehr nützlich, gerade weil man oft eine grosse Fläche füllen muss und mit der Choreografie sicherstellen kann, dass man diesen Platz optimal ausnützt.

Vorbereitung

Als erstes wird die Musik ausgewählt. Diese muss verschiedenen Kriterien entsprechen.

Wer? Wie ist das Niveau der Tanzenden? Soll es eine einfache Schülerinnen-Choreografie werden oder ein komplexer Tanz auf professionellem Level?
Für Anfängerinnen sollte die Musik regelmässig aufgebaut sein und so, dass die verschiedenen Teile klar zu erkennen sind, z. B. Strophen und Refrains. Fortgeschrittene tanzen abwechslungsreichere Stücke mit interessanten Akzenten und Rhythmuswechseln.

Wie lange? Bühnenshows haben oft Zeitlimiten für Auftritte, nach denen man sich richten muss. Ausserdem muss auch wieder das Niveau der Tanzenden beachtet werden. Anfängerinnen können sich einerseits oft nicht so viel merken und andererseits ist es für das Publikum auch nicht interessant, 10 Minuten lang einer Anfänger-Choreografie zuzuschauen. Im Allgemeinen ist die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer auch bei guten Tänzerinnen auf höchstens 12 – 15 Minuten beschränkt.

Welches Publikum? Stammen die meisten Zuschauer aus einem bestimmten Land? Dann wird z.B. für einen türkischen Anlass auch eine türkische Musik gewählt. Bei westlichen Zuschauern ist man bei der Wahl der Musik recht frei, allzu Experimentelles kommt aber eher beim „Fachpublikum“ an. Bei Hochzeiten darauf achten, kein Lied mit einem Text über ein gebrochenes Herz zu verwenden.

Welche Accessoires? Sollen in dem Stück Schleier, Säbel, Stock, Leuchter oder andere Zubehöre verwendet werden? Dann ist die Musik oder mindestens der Teil, in dem das Accessoire zum Zug kommt, passend zu wählen.

Welche Stimmung? Soll der Tanz kokett, dramatisch, erhaben, fröhlich etc. wirken? Oft wird auch in einem Stück je nach Musik zwischen verschiedenen Stimmungen gewechselt.

Ganz wichtig ist natürlich auch, dass einem die Musik wirklich gefällt. Denn man wird das Stück beim Üben viele Male hören, darum ist es wichtig, dass es einem nicht nach dem 10. Mal schon auf die Nerven geht.

Nachdem man sich die Musik ausgesucht hat, hört man sie sich am besten erst einmal so oft wie möglich an. Ob auf „endlos wiederholen“ im CD-Player oder mehrmals hintereinander kopiert auf einer Kassette; beim Autofahren, im Bus, bei der Hausarbeit.... Selbst wenn man sich das Stück nicht immer konzentriert anhört, bekommt man so ein Gefühl dafür. Das ist dann auch später wichtig, wenn es darum geht, sich die Choreografie merken zu können.

Dann ist es an der Zeit, sich hinzusetzen und einmal die Struktur des Stückes aufzuschreiben. Es gibt dafür verschiedene Systeme. Ich ordne den verschiedenen Musik-Teilen jeweils einen Buchstaben zu. So kann man auch gleich auf einen Blick erkennen, wann ein Teil wiederholt wird. Ein Stück kann also vereinfacht gesagt so aussehen: A B A B - C D E - A B A B - F F H H - A B

Oft hilft nur schon dieses Aufzeichnen, eine bessere „bildliche“ Vorstellung des Stückes und seines Aufbaus zu bekommen. Dazu notiere ich auch, wie viele Takte lang ein Teil ist und auf welcher CD-Position er sich befindet. Hilfreich kann auch sein, jeweils dahinter zu schreiben, was in der Musik passiert: Rhythmus, Gesang, Geigen, Mizmar... Manchmal unterteile ich dann auch noch in „Kapitel“ wie zum Beilspiel Einleitung – schneller Teil – Taqsim – Mittelteil – Saidi-Rhythmus - Trommelsolo – Finale.

Beispiel:

choreo

Kreative Phase

Nach all der Vorbereitung ist es jetzt an der Zeit, an die effektive Arbeit des Choreografierens zu gehen. Dazu gibt es je nach Veranlagung verschiedene Möglichkeiten von chaotisch bis systematisiert. Natürlich lassen sich all diese Methoden auch verbinden.
Grundsätzlich ist auch zu bedenken: Choreografieren ist Übungssache – am Anfang wird man eher noch vor einem weissen Blatt sitzen und um Inspiration ringen, mit der Zeit und Erfahrung geht es leichter. Ein grosses Repertoire an Tanzbewegungen ist dabei natürlich von Vorteil.

Einige Möglichkeiten:

Choreografieren durch Improvisation
Wer sonst vor allem Improvisiert tanzt, kann das Musikstück ein paar mal frei durchtanzen und dabei entdecken, welche Bewegungen sich besonders gut angefühlt haben für einen Musikteil. Wer sich das nicht merken kann, kann z.B. auch mit Video arbeiten. Dann werden die am besten passenden Bewegungen zusammengesetzt und eventuell noch etwas verfeinert.

Choreografieren durch Kombination
Eine gute Methode ist es, sich über die Jahre einen Katalog von möglichen Bewegungen anzulegen, ob auf Listen oder auf kleinen Karten. Aus diesen setzt man sich die Choroegrafie daraus zusammen. Zum Beispiel gibt es eine langsame Passage mit Geige – welche weichen Bewegungen haben wir zur Auswahl, die da passen würden? Die verschiedenen Möglichkeiten durchtanzen und sehen, welche am besten mit der Musik harmoniert.

Wenn man alle Bewegungen vor sich aufgelistet sieht, die man im Lauf der Zeit gelernt hat, hilft das auch, nicht immer nur die gleichen paar Schritte zu benutzen sondern auch einmal solche, die man sonst nicht so oft braucht. Oder man kann neue Bewegungen, die man im letzten Workshop gelernt hat, in die Choreografie einfliessen lassen.

Choreografieren im Kopf
Es gibt Leute, die eine Choreografie komplett am Schreibtisch entwerfen können. Das braucht natürlich ein wenig Übung und ein gutes Vorstellungsvermögen. Dazu stellt man sich die Musik quasi bildlich im Kopf vor und überlegt sich, was dazu passen könnte. Je nachdem kann dazu auch die Methode mit den Bewegungslisten zur Hilfe kommen. Dann tanzt man die Choreografie ab Blatt und passt sie eventuell noch an.


Umsetzen von Melodie oder Rhythmus

Wichtiger Grundsatz beim Choreografieren: Einfach halten! Nicht sämtliche Bewegungen in eine einzige Choreografie packen wollen. Ausserdem muss nicht jede einzelne Note und jeder kleinste Akzent mit einer Bewegung umgesetzt werden – das ist einerseits sehr aufwändig zu choreografieren und andererseits schwierig zu behalten und zu tanzen. Man braucht nicht hektisch von einer Bewegung zur nächsten zu wechseln - oft empfinden die Zuschauer wiederholtes viel weniger langweilig als wir selbst. Gerade bei Choreografien für Gruppen sollten eher nicht zu viele komplizierte Bewegungen eingebaut werden, denn Gruppen wirken ja vor allem durch die Synchronität und durch ihre schiere Masse.Man kann auch durchaus bei sich wiederholenden Melodien die gleichen Bewegungen – ev. mit Variationen – tanzen.

Beim anhören der Musik kann man sich die Instrumente vorstellen und wie sie gespielt werden. So wird die Trommel geschlagen, das Qanun gezupft, die Geige gestrichen, die Nay geblasen... Und all das ergibt unterschiedliche Klangbilder, die man im Tanz mit entsprechenden Bewegungen ausdrückt. Ein starker Schlag auf die Tabla verlangt nach einer starken, harten Körperbewegung. Der weiche, warme Klang der Nay wird mit runden, langsamen Bewegungen übersetzt.

Es ist auch sehr nützlich, die verschiedenen Rhythmen zu kennen. Gerade bei Rhythmen, die zu bestimmten Fokloretänzen gehören, kann man auch in einer klassisch Orientalischen Choreografie Bewegungen aus der Folklore einfliessen lassen.

Die Musikstücke der arabischen Musik folgen meist gewissen mathemaischen Mustern. In Takten ausgedrückt wären das zum Beispiel 4 x 2 oder 2 x 8. Oft kommt auch das 3 + 1 Muster vor – also 3 x die gleiche Melodie mit einer Variation zum Schluss. Dies wird normalerweise wiederholt und ergibt dann (3 + 1) x 2. Wenn man Dinge wie diese weiss, wird es auch einfacher, mit der Musik umzugehen.
Beim Zusammenstellen der Choreografie sollte auch darauf geachtet werden, dass Bewegungen nicht einfach wahllos zusammengesetzt werden, sondern eine logische Folge bilden. So kann man sich den Ablauf auch viel einfacher merken. Einfaches Beispiel: Ich stehe auf dem linken Bein und mache rechts Hüftdrops. Also ist das rechte Bein frei, um z.B. einen Kreuzschritt nach links zu machen.

Ausserdem sollte der Spannungsbogen in der Choreografie beachtet werden. Das Entrée dient eher zur Präsentation und Begrüssung des Publikums, während gegen Ende hin die Dramatik gesteigert werden kann.

Wichtig ist auch noch zu überlegen, ob man zu Anfang der Musik bereits auf der Tanzfläche posieren möchte oder erst nach Beginn der Musik auftritt. In Hinsicht auf mögliche technische Schwierigkeiten ist es oft besser, den Anfang des Stücks hinter der Bühne abzuwarten.
Es kann übrigens durchaus vorkommen, dass einem eine Musik gefällt, aber partout keine gescheite Choreografie dazu einfallen will. Meist hilft es dann, das Stück ein paar Wochen oder Monate ruhen zu lassen, oft kommt dann die Inspiration in der Zwischenzeit.

Raum ausnutzen

Je nach Grösse der Tanzfläche sollte auch ab und zu der Standort gewechselt werden. Dabei können verschiedene geometrische Muster zum Vorbild genommen werden, denen man folgt: Kreis, Viereck, Kreuz, Dreieck. Bei einer Gruppenchoreografie kommen noch Formationswechsel dazu.
Einerseits kann man so das Publikum in verschiedenen Ecken direkter ansprechen, andererseits bietet man ihm auch wieder neue Blickwinkel.

Man kann auch verschiedene Perspektiven von sich selbst einsetzen: frontal, diagonal, Profil, Rücken zum Publikum. Dies ist auch eine gute Art, eine Bewegung mehrmals zu wiederholen und sie doch verschieden wirken zu lassen.

Schliesslich gibt es auch die Höhen-Ebenen. So kann man Abwechslung in den Tanz bringen, indem man eine Bewegung einmal auf den Ballen und dann in gebeugten Knien tanzt.

Ein wichtiger Teil eines Auftritts sind übrigens auch der Gang auf und von der Tanzfläche. Gerade bei einer Gruppen-Choreografie muss das mitgeübt werden, damit sich die Gruppe am Schluss nach der Verbeugung nicht in einen chaotischen Haufen verwandelt, sondern geordnet von der Bühne abtritt. Dabei ist auf den Gang zu achten – eine Tänzerin, die vor und nach ihrem Auftritt unelegant über die Bühne stampft, macht keinen guten Eindruck.

Praxis

Wenn die Choreografie schliesslich steht, geht es ans üben. Dabei wird man schnell merken, dass einem einige Passagen besser im Gedächtnis bleiben als andere. Wenn man eine Bewegung einfach wirklich jedes Mal vergisst, sollte man sie vielleicht durch eine andere auswechseln – oder man übt speziell den Übergang von der vorherigen zu dieser Bewegung. Man kann sich auch eine Art Geschichte ausdenken, in der die eine Bewegung zur andern führt.

Nützlich ist es ebenfalls, wenn möglich „im Kopf“ zu üben, zum Beispiel im Bus auf dem Weg zur Arbeit. So kann man sich die Bewegungen bereits vorstellen und hat es dann einfacher, wenn es ans eigentliche Tanzen geht, weil man die Abfolge bereits kennt.
Auf jeden Fall gilt die alte Regel: Der Mensch lernt durch Wiederholung. Ideal ist es, die Choreografie so oft zu üben, dass sie quasi über „Autopilot“ getanzt werden kann – also nach den ersten Bewegungen wie von alleine weiterläuft. So hat man auch noch die Kapazität, sich um den Ausdruck zu kümmern.

Nachdem man die Choreografie einigermassen beherrscht, kann man sie für den letzten Schliff einer Kollegin zeigen oder auf Video aufnehmen, um zu sehen, ob der Tanz auch tatsächlich so wirkt, wie man sich das vorgestellt hat. Nun können letzte Änderungen angebracht werden.

Wenn man die Choreografie schliesslich aufführt, sollte man sich ganz auf den Tanz und den Kontakt mit dem Publikum konzentrieren können. Es bleibt kein Platz für Überlegungen wie "sitzt mein Haar, schaut mein Hintern zu dick aus in diesem Kostüm...". Wichtig ist, in einem Kostüm zu tanzen, in dem man die Choreografie auch geübt hat und das gut sitzt, damit man sich nicht mehr darum kümmern muss und durch einen rutschenden Träger oder ähnliches in der Konzentration behindert wird. Wenn man unsicher ist, merkt dies das Publikum.

Ausserdem kann es auch sein, dass das Kostüm gar nicht zur Choreografie passt – ich habe selbst einmal beim üben feststellen müssen, dass das geplante Kostüm sich für das Schleier-Entrée nicht eignete, weil es weite Ärmel hatte, die sich dauernd mit dem Schleier verhedderten. So musste ich auf ein anderes Kostüm umstellen.

Nützlich ist es auch, in verschiedenen Räumen oder nach verschiedenen Richtungen zu tanzen, damit man sich nicht allzusehr an eine Umgebung gewöhnt und dann verunsichert ist, weil es am Auftrittsort plötzlich anders aussieht.

Und falls sich dann trotz allem plötzlich mitten im Tanz die grosse Leere im Kopf einstellt: Lächeln und weitertanzen. Schliesslich kennt man die Musik ja mittlerweile gut genug, um auch mal ein Stück davon improvisieren zu können, bis man den Anschluss wieder findet – das funktioniert natürlich nur bei Solo-Nummern, aber alles ist besser, als stehenzubleiben!